<219> meisten preußischen Provinzen ist der Adel gezwungen, gut zu wirtschaften, um sich zu erhalten. Denn das Erstgeburtsrecht besteht nicht, und die Väter kinderreicher Familien können ihren Söhnen, die zu Stiftern neuer Seitenlinien werden, nur dann ein standesgemäßes Einkommen hinterlassen, wenn sie selber sparsam sind.

Die Verminderung der Ausgaben des Publikums verhinderte nicht, daß das Handwerk sich vervollkommnete. Unsere Wagen, Tressen, Sammetstoffe und Goldschmiedearbeiten verbreiteten sich durch ganz Deutschland.

Sehr bedauerlich aber war es, daß man während all dieser wertvollen Neuerungen die Akademie der Wissenschaften, die Universitäten, die freien Künste und den Handel ganz in Verfall geraten ließ. Die frei werdenden Stellen an der Akademie wurden schlecht und wahllos besetzt. Das Zeitalter war so verblendet, Mißachtung gegen eine Einrichtung zur Schau zu tragen, die so erlauchten Ursprungs war und deren Leistungen ebensosehr den Ruhm der Nation wie den Fortschritt des menschlichen Geistes förderten.

Während die ganze übrige Akademie in Lethargie versank, blieben Medizin und Chemie auf der Höhe. Pott1, Marggraf2 und Eller3 setzten Stoffe zusammen und lösten sie auf und trugen durch ihre Entdeckungen zur Aufklärung der Menschheit bei. Die Anatomen erhielten für ihre öffentlichen Sezierkurse ein anatomisches Theater, und so entwickelte sich eine blühende Schule der Chirurgie.

Günstlingswirtschaft und Kabalen besetzten die Lehrstühle der Universitäten. Die Frömmler, die sich in alles mischen, erlangten Teil an der Leitung der Hochschulen. Sie verfolgten dort den gesunden Menschenverstand und insbesondere die Philosophen. Wolff wurde ausgewiesen4, weil er die Beweise für das Dasein Gottes mit bewundernswerter Klarheit entwickelt hatte.

Die adlige Jugend, die den Offiziersberuf ergriff, glaubte, durch das Studium sich herabzuwürdigen, und wie der Menschengeist stets in Extreme verfällt, betrachtete sie die Unwissenheit als ein Verdienst und das Wissen als lächerliche Pedanterie.

Aus den gleichen Gründen kamen die freien Künste in Verfall. Die Kunstakademie ging ein. Pesne, ihr Direktor, ging von den Gemälden ganz zum Porträt über. Steinmetze traten als Bildhauer auf und Maurer als Architekten. Ein Chemiker, namens Böttger5, ging von Berlin nach Dresden und verriet dem König von Polen das Geheimnis der Herstellung des Porzellans, das an Eleganz der Formen und an Feinheit des Farbenspiels das chinesische übertrifft.

Unser Handel war noch nicht geboren. Die Regierung erstickte ihn, indem sie Grundsätze vertrat, die seiner Entwicklung stracks zuwiderliefen. Man darf daraus nicht den Schluß ziehen, daß der Nation eigene Geschäftsbegabung fehlt. Die


1 Johann Heinrich Pott (1692—1777).

2 Andreas Sigismund Marggraf (1709 — 1782).

3 Johann Theodor Eller (1689 — 1760).

4 Christian Wolff wurde 1723 ausgewiesen und 1740 von König Friedrich zurückberufen.

5 Johann Friedrich Böttger (1682 — 1719), der Erfinder des Meißener Porzellans.